Warum wir gerade jetzt Kunst brauchen

Thomas Schönauer, Claudia de Bruyn, Andreas Kipar und Walter Smerling erörterten, warum Kunst gerade in Krisenzeiten wichtig ist und warum die Gestaltung des öffentlichen Raums einen ganzheitlichen Ansatz braucht.

VON ANDREA BINDMANN

RATINGEN | Skulpturen des Künstlers Thomas Schönauer finden sich auf der ganzen Welt. Entstanden sind sie in seinem Atelier in Ratingen. Zurzeit in Arbeit ist das 25. Werk aus dem Zyklus Cultivator, das in Slowenien einen Platz finden wird. Zu eben dieser Serie ist ein Buch in Arbeit, das auch einen Austausch zum Thema Kunst im öffentlichen Raum enthalten soll. Wir durften dabei sein.

Thomas Schönauer begrüßte in seinem Atelier die Ratinger Architektin Claudia de Bruyn, den Landschaftarchitekten Andreas Kipar und Kulturmanager Walter Smerling. „Unser Gespräch soll Impulse geben, wie – neben den Schwerpunktthemen Raumplanung, Mobilität, Green Architecture, soziale Gerechtigkeit, Klima – die Kunst beitragender Faktor zum Überthema Nachhaltigkeit sein kann“, so Schönauer im Vorfeld. „Wir befinden uns in einem Paradigmenwechsel“, so der Künstler. In einer coronageprägten, wirtschaftlich schwierigen Zeit sei Kunst im öffentlichen Raum wichtiger denn je. „Planer sind immer mehr gefordert, auf Themen wie den Klimawandel oder die Digitalisierung einzugehen.“ Seine Idee: Die Umgebung, in der Menschen leben, als Gesamtkunstwerk zu gestalten, das Landschaft, Architektur und Kunst einbezieht.

Bei vielen Projekten arbeitet Schönauer mit dem Landschaftsarchitekten Andreas Kipar zusammen. „In der Pandemie fanden wir uns plötzlich alle in der eigenen Stadt wieder“, sagt er rückblickend auf die vergangenen zwei Jahre. Der Stadtraum habe eine völlig neue Bedeutung erhalten. Seine Mission: Menschen wieder mit der Natur zu verbinden. „Wir haben das Gespür für die Wertigkeit des öffentlichen Raumes verloren. Dieser muss für ein ästhetisches Wohlbefinden sorgen. Wir brauchen Lebensqualität vor unserer Haustür.“ Kunst sei dabei ein elementarer Bestandteil. Das Thema Nachhaltigkeit will er bei seinen Planungen nicht ausklammern. Im Gegenteil. Kipar vertritt jedoch die Ansicht, dass Nachhaltigkeit nicht ausschließlich mit Verzicht in Verbindung gebracht werden dürfe, vielmehr soll „Nachhaltigkeit Spaß machen“.

Warum Kunst gerade in angespannten Zeiten so wichtig ist, erklärt Walter Smerling: „Ein Künstler kann uns dialogfähig machen. Je mehr Menschen über Kunst im öffentlichen Raum reden, desto mehr kommen wir wieder in einen Dialog.“ Smerling kritisiert in diesem Zusammenhang die geringe Wertschätzung, die der Kunst häufig von Entscheidungsträgern entgegengebracht werde.

„Zuhören, zuschauen, sich einlassen.“ Diese Fähigkeit vermisst auch Claudia de Bruyn. Ein Umdenken fange bereits im Schulunterricht an. „In der Schule ist Kunst ein Fach ohne Bedeutung“, reklamiert die Ratingerin. In Krisenzeiten werde oft argumentiert, dass die Gesellschaft Kunst nicht vordringlich benötige. Sie setzt entgegen: „Kunst im öffentlichen Raum hat auch eine sozialpolitische Bedeutung. Wir brauchen Kreativität. Sie aktiviert Hirnareale, die auch in anderen Bereichen von Bedeutung sind. Und Kunst schafft Identität.“ Warum kulturelle Errungenschaften, auf die ein Land stolz sein kann, also nicht für alle zugänglich machen?

„Kunst wird häufig als Störstein empfunden“, so Kipar. Für ihn ergeben alle Bereiche der Kunst ein großes Ganzes. „Kunst ist ein Vehikel, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.“ Das Wichtigste sei jedoch der Mensch. „Wir müssen unsere Innenstädte neu denken“, findet er. Fußgängerzonen seien häufig viel zu groß. Wenn es nach ihm ginge, würden diese aufgerissen, entsiegelt. „Wir müssen wieder Platz für Boden schaffen, einen Bezug zum Boden herstellen.“ Platz für Grün in den Innenstädten hätte noch einen zusätzlichen Effekt: „Wenn der Raum für die Menschen enger wird, müssen sie sich begegnen.“

„In diesem Sinne verstehe ich mich als Therapeut“, resümiert Schönauer. „Wir akupunktieren die Gesellschaft. Die Menschen müssen sich mit Kunst beschäftigen. Ich gebe nicht auf.“

INFO

Das sind die Gesprächspartner

Thomas Schönauer Der Bildhauer und Maler Schönauer hat sein Atelier in Ratingen Lintorf. Dort entstehen auch die Stahlskulpturen, die sich durch Präzision, Leichtigkeit und Ästhetik auszeichnen, sind in der ganzen Welt vertreten.

Andrea Kipar Der Landschaftsarchitekt aus Gelsenkirchen lebt heute in Mailand. Sein Büro LAND entwarf zahlreiche preisgekrönte Projekte wie den Krupp-Park in Essen und entwickelte die Freiflächen rund um die Expo in Dubai.

Claudia de Bruyn Ebenfalls auf internationalem Parkett tätig ist die Ratinger Innenarchitektin und Architektin. Ihr Unternehmen two product & space entwickelt unter anderem Markenräume für Unternehmen.

Walter Smerling Smerling lebt in Bonn, ist Kulturmanager, Vorsitzender der Stiftung für Kunst und Kultur Bonn, Gründungsdirektor des Museums Küppersmühle für Moderne Kunst in Duisburg und künstlerischer Leiter der Salzburg Foundation.