Das Kleingartenwesen der Zukunft

Wohl selten in den letzten Jahrzehnten wurde die gesellschaftliche wie individuelle Lebensqualität der Menschen so stark beeinträchtigt wie in der Gegenwart. Ökologische, soziale, gesundheitliche Belastungen ob durch Corona, Klimawandel, Sorge vor Energieknappheit oder der Krieg im Osten Europas: Die Suche nach friedvollem und gesundem Lebensumfeld prägen das Stadt- und das Landleben zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Wenn es in diesen so extrem belasteten Zeiten einen „Sieger“ gegeben hat, dann sind es die Gärten, insbesondere die Kleingärten. Vielfach durch wissenschaftliche Untersuchungen nachgewiesen haben das urbane Grün und das Kleingartenwesen in jüngster Zeit eine ungeheure Wertsteigerung erfahren [1].

von Klaus Neumann

Kleingärten: Ein Erfolgsmodell. Es stammt aus dem Gestern

Ohne jeden Zweifel ist das Kleingartenwesen ein Erfolgsmodell bundesdeutscher Gesellschafts- und Stadtentwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts. Naheliegend wäre der Sport-Slogan „Never change a winning team“ oder der IT-Technologie: „Never change a running system“. Aber genau in diesen Sektoren ist erkennbar wie unabdingbar notwendig – etwa beim häuslichen Computer -ein zeitgemäßes Update ist. Ohne dieses ist der Misserfolg im digitalen Network vorprogrammiert. Und im Sport? Sind es nicht gerade die Spitzenteams, die sich immer wieder durch neue Konzepte, neue Taktik, neue Akteure erneuern und sich so im sportlichen Konkurrenzkampf bewähren. Mit diesem Verständnis gilt es auch das Kleingartenwesen zu betrachten. Dieses tradierte Erfolgsmodell ist entstanden, gewachsen und geprägt unter völlig anderen städtebaulichen, gesellschaftlichen und ökologischen Rahmenbedingungen des 19. und 20. Jahrhundert [2] und ein Update steht an.

Kleingärten im Wettstreit der Stadtentwicklung: Der Konkurrenzkampf um „grüne Flächen“

  • Das 21 Jahrhundert wird das Jahrhundert der Umwelt sein. Entweder als Jahrhundert der ökologischen Wende oder als Jahrhundert der ökologischen Katastrophe. Wasser, Boden und Luft werden in einem unerträglichen Ausmaß verbraucht und vergiftet. Hitze und Trockenheit einerseits, andererseits Starkregen und Überschwemmungen prägen weite Regionen in nie gekanntem Ausmaß und die floristische wie faunistische Artenvielfalt geht dramatisch zurück. Wie noch nie in der Geschichte der Menschheit ist die Generation des 21. Jahrhunderts dabei, die Naturressourcen nachhaltig und dauerhaft zu zerstören. Als signifikantes Zeichen dieses immensen Naturverbrauchs gilt weltweit der „Earth Overshoot Day“ (Erdüberlastungstag), der Tag, an dem die Menschheit aufgebraucht hat, was die Natur bis Ende des Jahres zur Verfügung stellt. Noch nie lag dieser „Überlastungstag“ so früh wie 2022 [3] und jedes noch so kleine Naturareal steht im Obligo einen Beitrag „Pro Natura“ zu leisten.
  • Das 21. Jahrhundert wird auch das Jahrhundert der Städte sein, zumal Klimawandel und Urbanisierung als zwei eng verbundene Komponenten den globalen Wandel prägen [4]. Das Wissenschaftsformat Planet Wissen titulierte kurz und knapp: „Die Städte – die radikalste Umgestaltung der Erde“. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten. Lebten 1950 weltweit noch mehr als zwei Drittel aller Menschen in städtischen Gebieten, waren bereits 2015 mehr als die Hälfte (rund 54 %). In Deutschland betrug der Verstädterungsgrad 2015 noch 75,3 Prozent, bis zum Jahr 2050 auf rund 84,3 Prozent ansteigen [5].
  • Mit jeder Urbanisierung verstärken sich die Umwelt- und Verkehrsprobleme. Gleichzeitig wächst der Druck auf Wohnraum, auf Infrastruktur und Arbeitsplätze sowie auf den Frei- und Grünraum, insbesondere auch auf die Kleingärten. Angesichts dieser Entwicklungen wird das immer knapper werdende Gut der freien, für die Entwicklung so dringend erforderlichen (Grundstücks-)Fläche immer wertvoller. Der Druck auf rentable Nutzung und Verwertung steigt permanent. Eine Preisexplosion dieses immer knapper werdenden Gutes „Fläche“ ist die Folge, der Druck auf den Grünraum und insbesondere auf die Kleingärten wächst in den urbanen Metropolen signifikant [6]. Während in einer Stadt nahezu alles vermehr-und stapelbar ist (Straßen, Gebäude, Verkehrslagen) gilt diese Causa nicht für das urbane Grundelement: Die Fläche. Ein quantitatives „Mehr“ an Kleingartenflächen wird es insbesondere in urbanen Verdichtungsarealen angesichts vielfältiger wirtschaftlich bedingter Begehrlichkeiten kaum geben. Die Prämisse lautet demzufolge nicht vorrangig „Neubau“, sondern „Umbau und Weiterentwicklung“.
  • Fazit: Das Kleingartenwesen wird einerseits angesichts der vielfältigen Wandlungsprozesse von Mensch und Natur, von Stadt und Land, von Bauland und Freiland immer wichtiger, 
  • andererseits gerät es immer mehr in einen bis dato nie da gewesenen konkurrierenden Wettkampf um urbane Flächennutzungen und Flächensicherheiten für Grün versus Flächenbedarf für Bau- und Infrastrukturflächen.

Es muss sich immer wieder neu positionieren. Ein Revival steht an, bei welchem es nicht „nur“ die „Grünoase Kleingarten“ zu betrachten gilt, sondern die Stadt und die Menschen, die neue Arbeitswelt und die Natur, die Hitze/Klimawandel und die Trockenheit von morgen und was auf sie zukommen wird. So, wie sich Gesellschaft, Stadt und Umwelt verändern, weiterentwickeln und neu positionieren, so gilt dieses auch für das Kleingartenwesen.

Kleingärten, ein Erfolgsmodell für die Zukunft

Lässt man oftmals vorhandene Vorurteile, Ignoranz und die Unkenntnis (Beispiel: „Stadtplaner zu Streit um Kleingärten „Laubenpieper verhalten sich asozial“[7]) gegenüber dem Kleingartenwesen beiseite und eruiert die tatsächliche gesellschaftliche, sozial- und baukulturelle Bedeutung dieses „Garten-Phänomens“ im Hinblick der anstehenden Wandlungsprozesse, kann sich das tradierte Kleingartenwesen zum Erfolgsmodell für die Zukunft des 21. Jahrhunderts entwickeln. Einige Ansätze:

Gesellschaftlicher Wandel, Internationalisierung

Die Ausbreitung von multimedialen Kommunikationsdiensten in Wirtschaft und privaten Haushalten mit Telearbeit, Telekonferenzen und virtuellen Internetwelten prägt die Lebens- und Arbeitswelt im 21. Jahrhundert. Es führt sukzessive zu einer Virtualisierung der Stadt und zu einer weiteren Mediatisierung der Öffentlichkeit. Die Folgen sind für viele Stadtbewohner einerseits eine dramatische Natur-Entfremdung – und im Gegensatz dazu eine immer größere Sehnsucht nach Natur. Im urbanen freien grünen Raum wird sich das damit verbundene Prinzip Hoffnung der Stadtbewohner von Morgen vorrangig widerspiegeln. In dieser Entwicklung von Stadt und Gesellschaft wird der Kleingarten „Rettungsanker“ einer lebenswerten Welt mit realer Natur als Gegensatz zur virtuellen Natur der Arbeitswelt. Zum Ort, in welchem genau jenes lebenswerte Leben gelebt werden kann, welcher für viele angesichts einer dystopischen Zukunft solche Orte zum Traum eines sehnsuchtsvollen Paradieses werden.

Garten und Gesundheit

Vielfältige Krankheiten haben in den letzten Jahrzehnten zivilisationsbedingt drastisch zugenommen [8,9], insbesondere die Coronakrise hat die gesundheitliche Bedeutung von Gärten und Parks deutlich gemacht [10]. Beachtenswert ist zudem eine heute andere Betrachtung der Medizin bezüglich des Spektrums „Krankheit -Gesundheit“. Lange galt die sogenannte „pathogenetische“ Perspektive als Basis. Analysiert wurde primär die Krankheit mit den ursächlichen Risikofaktoren. Bei der heutigen Betrachtungsweise, der sogenannten „salutogenetischen“ Perspektive, steht die Gesundheit im Fokus. Bei dieser Betrachtung kommen der Natur und damit auch dem (Klein-)Garten mit den vielfältigen konkreten Wirkmechanismen auf die Gesundheit entscheidende Bedeutungen zu. Als Orte, in denen gesundheitsfördernde Optionen gelebt und erlebt werden können, haben Kleingärten das Potenzial zu Gesundheitsorten der Zukunft zu werden, und das ohne Kostenbelastung für das Krankenkassen- und Gesundheitswesen. Als Obligo der Zukunft gilt: „Das Gartenbeet ist besser als das Krankenbett“.

Zwar erkennen viele Stadtplaner, Architekten, Naturwissenschaftler, ebenso wie Mediziner, Sozial-Empiriker, Integrations- und Migrationsbeauftragte und Kulturpolitiker zunehmend den Wert von Gärten und dem Kleingartenwesen. Dennoch bedarf es einer neuen und zeitgemäßen materiellen wie immateriellen Wertschätzung.

Materielle Werte: In der aktuellen Situation extremer Klimabelastung und extrem ansteigender Preise im Lebensmittelbereich kommt der ökonomischen Bedeutung von Kleingärten eine immense Bedeutung zu. Aktuelle Untersuchungen des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung im Projekt „Garten Leistungen“ [11] haben den Wert von Ökosystemleistungen der Kleingärten berechnet, der unter anderem bei einer Kleingartenkolonie in Berlin Reinickendorf von 5,1 Hektar Größe mit etwa 200 000 Euro/Jahr nachgewiesen wurde. Eine weitere Anlage mit 7,14 Hektar kam zu einer Gesamtbewertung von 1,2 Millionen Euro. In einer Untersuchung „Reiche Ernte in Berliner und Stuttgarter Gärten“ kommt das Institut zu dem Ergebnis, dass die Ernteerträge in den Berliner Kleingärten knapp 10 Millionen Euro wert sind [12].

Immaterielle Werte: Allerdings gilt es nicht nur die „materiellen Werte“ einzelner Kleingärten oder Kleingartenanlagen zu schützen. Vorrangig sind es „immaterielle Werte“, welche das Kleingartenwesen prägen [13]. „Immaterielles Kulturerbe“, 2003 von der UNESCO-Generalkonferenz initiiert, soll (kulturelle) Werte der Menschheit lebendig erhalten und ist daher immer an die gebunden, die es ausüben und kreativ weiterentwickeln. Ausschlaggebend ist, dass Menschen ihre Traditionen und Werte, ihr Wissen und Können von Generation zu Generation aktiv weitergeben. Das Kleingartenwesen mit seiner gut 200-jährigen Intention zum Umgang des Menschen mit der (Garten-) Natur und mit seinen gesellschaftlich-sozialen Komponenten zum „Leben in der Gemeinschaft“ spiegelt in beeindruckender Art und Weise diesen Ansatz des Begriffs „Kultur“ wieder.

Digitalisierung

Gegenwärtig reift insbesondere in den Städten eine Generation von Bürgern, die mit dem (digitalen) Netz aufgewachsen sind. Teilen, tauschen, partizipieren, mit dabei sein, mit entwickeln, mitwirken. Die zunehmende Vernetzung der digitalen Welt beeinflusst die Entwicklungsprozesse der Stadt. Car-Sharing, Urban- gardening-community, Park-Allokationen und Co-working-spaces und prägen die Stadtgemeinschaft von morgen. Diese neue Ära mit der Dynamik und perfektionierten Technik einer euphorisch-digital affinen Jugend hat auch beim Gärtnern, dem Umgang mit dem Garten Einzug gehalten.

Den Anfang machte ein Biotechnologie-Startup mit Indoor-Gardening. Zur Angebotspalette dieses digital gardening gehören automatisierte Pflegeverfahren, die nötigen Samen und spezielle Pflanzerde sowie nach individuellen Präferenzen zu gestaltende Bepflanzungen. In diesen Ansatz der Nutzbarmachung digitaler Technik mit der Kreativität der jungen Generation gehört auch das (zeitweise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene) Projekt „iP-Garten – Online gärtnern und real genießen“ mit dem Slogan: „Wenn die Städte mehr und mehr zu urbanen Wüsten werden, dann ist der iP-Garten eine Oase, eine konkrete Utopie zukünftiger Städte“ [14].

So sehr der Einsatz digitaler Technologien im (klein-)gärtnerischen Oeuvre noch ganz am Anfang steht, vielleicht sogar auf deutliche Ablehnung und Unverständnis trifft, so sehr kommt diese Technologie unter dem Begriff „Smart City“ weltweit in vielen Bereichen des kommunalen Grüns zum erfolgreichen Einsatz. Prägend ist die Integration und Vernetzung aller die Stadt und die Menschen beeinflussenden Bereiche, um die ökologischen und sozialen Verbesserungspotenziale zu realisieren [15]. Vielleicht gilt das Thema Digitalisierung und Kleingartenwesen noch als visionäres Trauma. Aber es gilt die Optionen einer neuen Technik und der neuen Generation für das Kleingartenwesen nutzbar zu machen. Angefangen von schnellen Internetzugängen im Kleingartenbereich bis zu digitalen Steuerung der Wasser- und Energieeffizienz und Bodenanalyse mit Nährstoffversorgung per Smart App.

Abb. 4: Modetrend in Kleingartenparzelle: Swimmingpool. Foto: Klaus Neumann

Abb. 5: Modetrend in Kleingartenanlage: Wegeversiegelung. Foto: Klaus Neumann

Abb. 6: Park und Grasflächen im Sommer 2022. Foto: Klaus Neumann

Gesellschaftliche Strukturen und Kleingartenmodelle

Auch die Veränderungen der Altersstruktur, insbesondere der Wandel einer digital-globalisierten Arbeitswelt, werden sich auf die Nutzer- und damit auch die Kleingarten-Organisationsstruktur auswirken. Dabei ergeben sich neue Perspektiven.

  • Der Einsteiger:
    Jüngere und interessierte „Neu-Kleingärtner“ werden bereits heute umfassend auf den erforderlichen beträchtlichen Zeitaufwand der Gartenbewirtschaftung hingewiesen, der eben nicht nur die Tätigkeit in der eigenen Parzelle, sondern auch die mehr oder weniger zeitaufwendigen Arbeitseinsätze des Vereins betrifft. „Gerade in der Anfangszeit kann dein Garten zu einem Fulltimejob werden, je nachdem, was du alles vorhast“ [¹6]. Von Bedeutung werden daher neue zeitangepasste Parzellen – und Organisationsstrukturen, etwa wie beim Autokauf: zunächst klein beginnen, dann sukzessive größer werden. Vorschlag von „Parzelle 24, der Gartenblog aus dem Schrebergarten“: [16]. Zunächst mit circa 200 Quadratmeter Parzellengröße beginnen, Erfahrung sammeln, Zeitbudget erfassen und dann größer werden.
  • Der Saison-Gärtner:
    Viele (Stadt-)Menschen würden sich gerne am Wochenende im Garten erholen, sei es, um zu gärtnern oder schlicht zum entspannen- und das nur in der klassischen Gartensaison Frühjahr/Sommer bis Herbst. Diese beiden Nutzertypologien, den dauerhaften Kleingartenpächter und den Saisongärtner zusammenzubringen ist die Zielstrategie der Internetplattform „Datschlandia“ [17]. Unter dem Stichwort „‚Sharing Economy‘ liegt auch beim Thema Kleingarten, Datschen, Schrebergärten & Urban Gardening der Vorteil für alle auf der Hand“, so die Initiatoren.
  • Der Time-Sharing Gärtner:
    Shared Garden, Community Garden, Urban Gardening, – für die gemeinsame Nutzung von Grünflächen gibt es viele Bezeichnungen und immer wieder neue Konzepte. Sie alle gehören im weitesten Sinne zur Kategorie des (mittlerweile deutlich weiterentwickelten) Kleingartenwesens. Ziel ist die Verbindung von Natur und Gemeinschaft zur optimalen Nutzung von Grünraum. In manchen Fällen sind die Flächen öffentlich zugänglich, einige werden in kleinen Gruppen innerhalb von Vereinen oder Schulen genutzt, andere werden unter Familie, Freunden oder Nachbarn geteilt. Die Verteilung von Kosten und Arbeit auf viele Köpfe sorgt für einen sinnvollen und nachhaltigen Einsatz von Ressourcen bei überschaubarem Zeitaufwand. Markantes Beispiel aus Berlin die nach wenigen Tagen wegen Erfolg bereits vom Netz genommene eBay-Kleinanzeige im Juli 2022: „Garten Sharing Schrebergarten Mitbenutzung Kleingarten, 140,00 Euro.“

Klima und Energie

Prämisse ist nicht nur der Erhalt des eigenen Garten-Refugiums, sondern ein entscheidender Beitrag zur Klima-Resilienz und Öko-Diversität der Städte und damit die Schaffung zukünftiger optimaler Lebensbedingungen in der Stadt unter medizinischen, psychischen und psychologischen Aspekten. Als Reaktion auf diese Herausforderungen etabliert sich auch im Kleingartenwesen ein Weiterdenken bezüglich einer klimaangepassten Gartenbewirtschaftung. Angesichts neuer „Trends“ auch in manchen Kleingartenanlagen zur Versiegelung (z. B. von Zugangswegen) oder zu Swimmingpools und Badebecken formulierte der Vorsitzende der Berliner Reinickendorfer Gartenfreunde: „Ein weiter so wird es nicht geben“ [18]. Und die Bezirksgartenfachberaterin im Bezirksverband Süden mahnt mehr Wertschätzung für das (Garten-) Wasser an: „Nutzen wir Trinkwasser zur Bewässerung von Gärten und zum Befüllen von Pools verschwenden wir wertvolles Gut. Wir sollten uns unserer Verantwortung bewusst werden“[19].

Vor wenigen Woche erschreckte eine Nachricht aus England: „Grasflächen in Parks sind angesichts der globalen Erwärmung nicht mehr lebensfähig“ [20]. „Die Tradition üppig gemähter Rasenflächen und idyllischer Grasparks ist angesichts der globalen Erwärmung nicht mehr lebensfähig. Ein radikaler Wandel in der Landschaftsgestaltung ist erforderlich“. Wie sehr das Thema Klimawandel/Trockenheit auch die deutsche Gartenkultur beeinflussen wird, ist einem Interview mit dem Geschäftsführer der IGA 2027 Ruhrgebiet zu entnehmen. Es gehe vorrangig gerade darum, bestehende Grünanlagen klimaresilient umzubauen und neue Wege der Vegetation aufzuzeigen. Gezeigt werden sollen Bäume und Sträucher, die mit Hitze und Trockenheit besser klarkommen als die bisher heimische Pflanzenwelt: Und! Mit Wasser will die IGA sparsam umgehen. „Wir werden nicht alles bewässern können“, so Geschäftsführer Horst Fischer [21].

So, wie sich für die gartenkulturellen Highlights Gartenschauen sehr grundlegende Veränderungen mit neuen gärtnerischen Schönheit- und Werteidealen und neuem Umgang mit der Vegetation abzeichnen, so wird auch das Kleingartenwesen davon betroffen sein. Die resiliente und klimaangepasste (Klima-) Kleingartenanlage des 21. Jahrhunderts wird geprägt durch

  • eine autarke Strom-Energieversorgung mittels Nutzung der Solarenergie im Kleingartenbereich,
  • ein gegebenenfalls zentrales Regenwassermanagement für die gesamte Anlage einschließlich der Nutzung von Leerstandsparzellen zur Wasserbevorratung,
  • einen neuen Umgang bei der Vegetationsverwendung und
  • einen neuen Umgang mit der Vegetationstechnik (Pflege, Unterhaltung) basierend auf neuen gärtnerischen „Schönheitsidealen“.

Abb. 7: BfN-Projekt zur biologischen Vielfalt: Tausende Gärten – Tausende Arten. Abbildung: Deutsche Gartenbau-Gesellschaft 1822

Biodiversität, Artenvielfalt, Vegetation

Neben dem Klimawandel gilt der Verlust der Biodiversität als zweite globale Krise. Nach aktuellen Angaben vom Bundesamt für Naturschutz sind zum Beispiel 31 Prozent der Farn- und Blütenpflanzen in ihrem Bestand gefährdet. Bei 41 Prozent aller Insektenarten geht die Population zurück. Da insbesondere viele Obst- und Gemüsepflanzen auf ihren Bestäubungsdienst angewiesen sind, wird dieser Artenschwund zu dramatischen Ernteeinbußen führen. Wissenschaftlichen Berechnungen zufolge bis zu 90 Prozent bei Mandel, Gurke, Kirsche, Apfel und Pflaume, bis zu 39 Prozent bei Sonnenblume, Tomate, Erdbeere, Papaya, Pflaume. Allein in Deutschland erwirtschaften die Bestäuberinsekten jährlich einen Wert von 3,8 Milliarden Euro [22]. Die immense Bedeutung der Kleingärten als für die Insektenleistungen existenziell wichtigen Orte dürfte unbestritten sein. Vor dem Hintergrund derartig dramatischer Zahlen sollte der neue Leitsatz im Kleingarten der Zukunft lauten: „Tiere pflanzen“[23].Wenn das Kleingartenwesen das Ziel hat nicht nur Pflanzen in den Gärten anzusiedeln, sondern auch den für die Bestäubung so wichtigen Tieren Lebensraum zu geben, dann sind bei der Auswahl der Pflanzen in Zukunft nicht nur Blütenfarbe, Blütezeit, Blattform und Blattstruktur bedeutsam, sondern ebenso wichtig ist auch, welche und wie viele Tiere auf welchen Pflanzen zur Existenz benötigen. Es ist ein neues Bewusstsein und neues Wissen erforderlich, dass bestimmte Pflanzen für Tiere wertlos andere äußerst wertvoll ja überlebenswichtig sind. Diese Herausforderung hat drei Aspekte:

  • Verzicht auf Altes:
    Der Artenschwund erfordert einen neuen Umgang mit der Vegetation. In der bio-ökologischen Fachwelt gilt mittlerweile die Prämisse auf nicht bedeutende, für die Nahrungskette von Vögeln und Insekten wertlose Pflanzenarten zu verzichten. Ganz oben auf der „Verzichtsliste“ stehen unter anderem Kirschlorbeer, Bambus, Thuja, Flieder [24]. Berlins neuer Förster Christian Eckert im Juni 2022: „Eine Thuja Hecke ist ein gepflanzter Friedhof“ [25]. Zum bislang so beliebten Kirschlorbeer berichten die NW-Nachrichten am 10.07.2021: „. . . auf den ersten Blick scheint der Kirschlorbeer die perfekte Heckenpflanze zu sein. Aus ökologischer Sicht ist die Pflanze aber eine Katastrophe. In OWL hat eine erste Gemeinde ihn für Neubaugebiete nun verboten“. Und bereits am 3.11.2020 meldete die WAZ: „Kirschlorbeer ist in Essener Kleingärten ab sofort verboten“.
  • Nutzung neuer Vegetationsarten:Die Anpassungen der Vegetation sind ein wichtiges Element einer klimaangepassten Kleingartenentwicklung. Insbesondere die Verwendung von regionalem, ökologisch angebautem Saat- und Pflanzengut gilt es zu beachten. Dabei kommt dem Projekt „Tausende Gärten – Tausende Arten“ eine zentrale Bedeutung zu. Es wird im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz gefördert und seit 2021 von der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsladen Bonn durchgeführt. Die biologische Vielfalt soll durch die Produktion und Verbreitung von einheimischen Wildpflanzen gefördert werden. Bundesumweltministerin Svenja Schulze: „In Anbetracht des vielfach belegten Insektenschwunds ist es wichtig solche Potenziale auszuschöpfen. Mit dem neuen Projekt wollen wir Natur- und Gartenfreunde zum Mitmachen anregen und Interesse und Begeisterung wecken, im eigenen Garten Lebensräume für heimische Tiere und Pflanzen zu schaffen. Wir stärken damit die Natur in unseren Städten und Gemeinden“[26].
  • Wandel Pflege- und Unterhaltung:
    Der strategische wie fachliche Wandel muss ergänzt werden durch eine neue Interpretation des tradierten gärtnerischen Schönheitsideals zum Beispiel von „gepflegter Pflanzung und schönem Rasen“ [27]. Der klassische kurz gepflegte englische Rasen, lange Signum für ein vermeintlich gutes Verständnis von Gärtnern, wird in Zukunft der Vergangenheit angehören. Gerhard Haszprunar, Generaldirektor der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayern, im Mai 2018: „Nicht alles, was bunt blüht, nährt die heimischen Insekten. Ein bisschen mehr Schlamperei täte der Sache nicht schlecht. Es muss nicht immer alles picobello sein“ [²8]. Im Mai 2019 titulierte DPA: Warum faule Gärtner besser für Insekten sind. Grüne Gärten: Experten warnen vor Mährobotern und allzu gepflegten Rasenflächen: Sie bieten Insekten wenig [28]. Dass aber ein solch „anderer Umgang“ mit der tradierten gärtnerischen Pflege vielfach noch auf Unverständnis stößt und entschuldigend als „mangelnde Pflegeintensität“ interpretiert wird, verdeutlichen (leider) Headlines in der Tagespresse wie in der MAZ vom 10.09.22 „Faule Gärtner, gute Insekten“ [²9]. Aber: Unter dem Aspekt von Biodiversität und Artenvielfalt gilt nicht der kurz geschorenen Rasen als „en vogue“, es gilt wachsen zu lassen.

Conclusio

Die gegenwärtigen ökologischen, gesellschaftlichen, sozialen und technischen Veränderungen, die sich abzeichnende „Verstädterung“ mit vielen neuen Werteparametern bringen neue Anforderungen an das urbane Grün im Allgemeinen und das Kleingartenwesen im Besonderen. Dieses alte Element deutscher Bau-und Gartenkultur hat die Option zu dem ökologischen Rettungsanker des 21. Jahrhundert zu werden, zu einer Arche Noah für vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten, zum vielfach rettenden Klimaeiland überhitzter Stadtquartiere, zum neuen urban-kulturellen Hotspot einer Gesellschaft im Werte- und Strukturwandel. Denn die Lebens-, Freizeit und Umweltkultur des 21. Jahrhunderts ist nur noch ganz bedingt die des 19. und 20. Jahrhunderts. Zwar werden kulturelle Schätze des Gestern aus Musik und Literatur, aus Malerei und Theater, aus Bau- und Gartenkunst immer die Kultur von Gegenwart und Zukunft prägen. Aber die Zukunft wird eine neue Kultur generieren.

Das Miteinander der Menschen (also die Sozialkultur), das Miteinander von Mensch und Natur (also die Naturkultur) und das Miteinander von Wohnraum und Lebensraum (also die Stadtkultur), das Miteinander von Arbeit und Gesundheit (also die Salutogenese) werden die Herausforderungen im 21. Jahrhundert sein. Und dazu gehört eben auch die Kleingartenkultur. Denn alles das kann im Kleingartenwesen stattfinden, es ist entscheidend für die Lebensqualität der Zukunft. Getreu nach dem Motto: „Wenn viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, viele kleine gute Dinge tun, kann viel das Gesicht dieser Welt verändern.“

Abb. 8: Potentialflächen für artenreiche Pflanzung in Kleingartenanlage. Foto: Klaus Neumann

Anmerkungen

¹. Garten und öffentliches Grün in Zeiten des Corona-Lockdowns. Hochschule Geisenheim, September 2020

². Neumann, K. :Kleingärten und Kleingärtner im Wandel der Zeit. Vom Armengarten zum stadtkulturellen Reichtum eines Landes Vortrag 23.08.2013, Seminar, International. Office International de Coin de Terre et des Jardins Familiaux (Office), Berlin

³. Umweltbundesamt (UBA): Erdüberlastungstag: Ressourcen für 2022 verbraucht. Mitteilung vom 26.07.2022

4www.ils-forschung.de/2020/05/klimawandel-internationale-migration-und-urbanisierung/

5. Rudnicka, J.: Prognose zum Anteil von Stadt- und Landbewohnern in Deutschland bis 2050. Statista, 24.01.2022, de.statista.com/statistik/daten/studie/167166/umfrage/

6. Nürnberger, D.: Kleingärtner gegen Stadtplaner. Bauboom bedroht Berlins Schrebergärten. Deutschlandfunk Kultur. 17.08.2020

7. Keilani, F.: Stadtplaner zu Streit um Kleingärten“ Laubenpieper verhalten sich Asozial“. Berliner Tagesspiegel 20.07.2020

8. Spitzer, M. : Natur – eine Dosis-Findungsstudie, Universität Ulm, Abteilung für Psychiatrie. Nervenheilkunde 2019; 38: 615-617, Georg Thieme Verlag KG

9. Arbeitsgemeinschaft pro-t-in GmbH unter anderem: Potentialentfaltungsstudie Gesunde Parks und Gärten., i.A. LandPark Lauenbrück, 31.08.2022

10. Langenbrinck, G. Schmidt, F.: Die Corona-Pandemie und Grün in der Stadt. Rückschlüsse durch Rezeption aus dem internationalen Raum. Auszug Forschungsprojekts „Maßnahmen auf dem Gebiet Grün in der Stadtentwicklung. Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Wohnen (BMWSB) und des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). März 2022

¹¹. sök: Der Wert von Kleingärten. Pressemitteilung Institut für ökologische Wirtschaftsforschung zum Projekt „Gartenleistungen“. in: Der Gartenfreund, Mai 2022

¹². Kliem, L.; Kuhlmann, M.: Reiche Ernte in Berliner und Stuttgarter Gärten. Ermittlung der Nahrungsmittelproduktion in Gemeinschaftsgärten, Kleingärten und auf Mietäckern in Berlin und Stuttgart. Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, Berlin , März 2022

¹³. Neumann, K: Ist Kleingärtnern ein immaterielles Kulturerbe. Mitteilungen 2019., Hrsg von ICOM Deutschland

14 IPGarten – Online gärtnern und real genießen. ipgarten.de

15. Neumann, K.: Urbaner Freiraum 4.0 – grüne Infrastruktur und soziale Integration .Smart-City-Netzwerke für Lebensqualität im urbanen Raum. Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. vhw FWS /Februar 2017

16. Parzelle 94.: Der Gartenblock aus dem Schrebergarten: Tipps und Entscheidungshilfe für angehende Schrebergärtner. www.parzelle94.de/2015/03/tipps-und-entscheidungshilfe-fuer-angehende-kleingaertner/

17. datschlandia: Garten sucht Freund. www.datschlandia.de. September 2022

18 Fritz, Th.: Wir haben keine einfache Zeit vor uns. In: Pranger K. Bericht zur Delegiertenversammlung. Berliner Gartenfreund, 09/2022

19. Müller, K. Mehr Wertschätzung für das Wasser. Der Gartenfreund, 09/2022Hofmann, P. : 40 Grad in Deutschland werden zur Regel, Prognosen für künftige Sommer in Deutschland. Potsdam Institut für Klimaforschung. In: Stern, 9.8.2022

20. Harper, Ph.: „Grassy parks are no longer viable in thes face of globale heating.dezzen, 12.08.2002: www.dezeen.com/2022/08/18/grassy-parks-global-heating-phineas-harper-opinion

21 WAZ.: Kostenexplosion im Bau belastet auch die IGA Planung. Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), 23.08.2022

²². Umweltinstitut München : Ökonomischer Wert unserer Bestäuberinsekten. twitter.com/UmweltinstitutM,

²³. Aufderheide, U.: Tiere pflanzen. Pala-Verlag, Juni 2019

24. Kaindl, F.: Darum sollten Sie auf Pflanzen wie Kirschlorbeer und Bambus schleunigst aus dem Garten entfernen. Merkur. de. 13.6.2022

25. Eckert, Ch.: Eine Thujahecke ist ein gepflanzter Friedhof. Berlins neuer Förster: Ein Gespräch über schlaue Tiere und kaputte Natur. Der Tagesspiegel, 7.Juni 2022

26. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit: „Tausende Gärten werden zu Oasen für die biologische Vielfalt. Pressemitteilung. Berlin, Bonn 16.01.2020 www.tausende-gaerten.de/presse

27. Pilz, M.: Klimawandel. Abschied vom Rasen. WELT, Kultur, 30.07.2019

28. dpa: Warum faule Gärtner besser für Insekten sind. Grüner Garten: Experten warnen vor Mährobotern und allzu gepflegten Rasenflächen. 20.05.2019 . www.t-online.de/heim-garten/garten/id_85783330/weltbienentag-warum-faule-gaertner-besser-fuer-insekten-sind.html

29.MAZ, Märkische Allgemeine Zeitung: Faule Gärtner, gute Insekten“. Nr. 212 vom 10/11.9.2022